Der Herr Ingenieurgeograph, ein Herr gesetzteren Alters, verläßt uns am Morgen. Er fühlt sich den Unbillen der rustikalen Reise nicht gewachsen, insbesondere da ihn sein Rücken arg plagt. Herr von Coulon geruht, auf direktem Weg voraus nach Finsterau zu fahren, um dort in einer konfortablen Herberge auf den Rest der Gesellschaft zu warten.
Wir erwarten für den heutigen Tag wieder ein paar Steigungen – das liegt einfach in der Natur dieser Landschaft im Spannungsfeld zwischen bewaldeten Bergen, Magerwiesen an den Hängen und moorigen Senken – und denken über Vorspann nach. Gestern ist der Zug aber gut zurecht gekommen mit dem späteren Aufbruch der schnelleren Fuhrwerke, also beschließen Kutscher und Oberwagenmeister gemeinsam, auch an diesem Mittwoch wieder so vorzugehen.
Die Strecke führt uns über die Landesgrenze in den Böhmerwald (in den tschechischen Nationalpark Šumava). Der Schlagbaum ist für unseren Treck geöffnet und wir ziehen unbehelligt parallel zur böhmisch-bayerischen Grenze nach Norden. Die neugierigen böhmischen Weidekühe springen munter über die Wiesen und möchten uns wohl am liebsten begleiten. Das Wetter ist durchwachsen, streckenweise ist uns die Sonne gewogen, aber zweimal müssen wir heftigen Regenschauern und sogar Hagel trotzen.
Am Nachmittag führen wir die Wägen den steilen Hohlweg des Goldenen Steigs hinab und überqueren die Brücke am Grenzbach bei Marchhäuser. Wieder zurück auf bayerischem Territorium geht es ein äußerst steiles Stück bergauf. Der Karren gerät mit dem rechten Rad vom befestigten Weg hinunter ins Gras. Die Männer müssen mit anschieben. Trotzdem nimmt unser Rad großen Schaden – zwei Speichen sind gebrochen und die Radnabe völlig ausgeschlagen. Zwar können wir die Reise fortsetzen, aber das Rad wird nun nicht mehr lange halten und muß bald ersetzt werden. Als wir am Ende der Steigung eine Pause einlegen, kommen die Anwohner und verwöhnen uns mit frisch gebackenem Kuchen.
Ziel der heutigen Etappe ist Schnellenzipf. Der Treck lagert auf einer Wiese, die zum “Runenhof” von Walter Lausecker gehört. Wir erreichen die Anhöhe zeitig, so daß die Herren Telegraphen hier zwei Masten errichten können.
Der Abend ist bitter kalt, die Köchinnen schütten Rotwein und Apfelsaft zusammen und erwärmen das Getränk, um die Moral zu stärken und unsere starren Glieder zu wärmen. Die gemischte Reisegesellschaft findet immer mehr zueinander, sitzt beisammen, erzählt und singt gemeinsam.
Aus dem Journal der Holprigerin:
"Nach dem Essen standen wir in trauter Runde im hellen Mondenschein um das wärmende Lagerfeuer. Jemand stimmte Matthias Claudius' Abendlied an und viele weitere Gesänge folgten."
Nachts kriechen alle unter die Wolldecken und versuchen, sich gegen den Nachtfrost so gut als möglich zu schützen.