Notice: Undefined index: HTTP_ACCEPT_LANGUAGE in /home/inga/thk/WWW/schwabegg/global.php on line 54 Schwabegg - Artikel
Wappen
Login:
Passwort:
Anmelden
Schwabegg | Anfahrt | Sehenswertes | Veranstaltungen | Adressen | Geschichte | Roman | Ortsplan | Lädle   Druckansicht

Thomas Krauß
2022-04-28 15:41:38
Impressum
Datenschutzerklaerung

7 Das Gewitter auf Schwabeck

Siebentes Kapitel

Das Gewitter auf Schwabeck

Unten am Fuße des Berges begegnete Gertrud dem Ritter Gäßler, der von der Jagd nach Hause ritt. Er hatte in irgend einer Schenke zugesprochen und mit Wein und Minne sich so erhitzt, daß er das glühende Herz und die heiße Stirn im schnellsten Trabe auf dem stolzen Rappen abkühlen wollte. Darum sprengte er das Roß bergan so heftig, wie man sonst kaum auf ebener Straße reitet. Auch fürchtete sich sein böses Gewissen vor dem Gewitter, das immer höher und höher stieg. So wäre es fast geschehen, daß er die Alte zu Boden geritten. Noch eben recht erkannte er sie, riß den Rappen auf die Seite und schrie im glühenden Zorn: "Was tust du hier, behextes Weib? Muß mir die alte Trude überall in dem Wege stehen? Bei meiner Ritterehre, deine Gegenwart bringt Unglück auf Schwabeck in großer Menge und mancher Art!"

Aber Gertrud entgegnete mit fester Stimme: "Gemach, Herr Gäßler, ladet auf den Rücken der alten Hexe nicht ein Übel, dessen sie nicht schuldig weiß. Ich meine, das Unglück reitet soeben Schwabeck zu!" Der Ritter hörte die letzten Worte und wollte fluchend auf das Wunderweib den wiehernden Rappen einsprengen. Diese aber hatte sich pfeilschnell auf einen steilen Seitenweg hinaufgeschwungen, wohin der Ritter zu Roß nicht folgen konnte. Und er mußte sich begnügen, in wüsten Flüchen seine Rache abzukühlen, bis er den Schloßhof erreicht hatte.

Hier war alles still und öde. Ein schauerlicher Wind, der Vorbote des nahenden Gewitters, stöhnte geisterartig durch die grauen Mauern. Der Schloßvogt, der die Jagd mitgemacht, führte des Ritters Pferd und sein eigenes zur Abendfütterung in den gewölbten Stall. Dann zog er die Fallbrücke auf, verrammelte das Burgtor mit dem eisernen Kreuzriegel und schaute ängstlich nach dem dumpfen Wetter. Vom weiten Himmelsgewölbe hing ein pechschwarzes Gewölk, wie ein Trauermantel, herab über die Feste von Schwabeck; und gar unheimlich vermengte sich der Rauchwirbel, der vom Zauberherde des Schwarzkünstlers auf dem Wartturm durch ein Eisenrohr in die Höhe sprudelte, mit den grausenhaften Wolken. Der Schloßvogt bekreuzigte sich und ging, vom kalten Fieberfrost durchdrungen, in seine Stube, manch Stoßgebetlein summend in frommer Einfalt.

Siegmund Gäßler stand an der großen Pforte, durch die man einging, um über die Wendeltreppe in die Gemächer der Frauen zu gelangen. Unschlüssig, ob er tun sollte, wozu das wilde Feuer, das in seinen Adern brannte, ihn antrieb, kauerte er sich in einen Mauerwinkel und horchte auf das Gemurmel des fernen Donners, der seinem bösen Gewissen ein unheimliches Gefühl aufdrängte. Da schlich unvermerkt eine gebückte Mannesgestalt ihm nahe. Es war - der Fischveit von Costnitz. "Wie" rief Siegmund; "Ihr schon zurück von Eurer heiligen Wallfahrt?" - "Jawohl," entgegnete jener, "und habe herrlich ausgeführt, was unserm Plane die Krone auf das Haupt setzen muß, und bei der falschen Kutte, die ich nun von mir geworfen, ging alles vortrefflich gut. Ich begleitete den Grafen Wernher fast bis gen Straßburg. Auf dem Wege dahin stießen wir auf einen andern Haufen von Kreuzfahrern, die den edlen Herrn freundlich willkommen hießen. Sein Entschluß, die Reise ins Gelobte Land trotz jeden Hindernisses fortzusetzen, war nun in seiner Seele festgewurzelt. Da hatte ich nichts weiteres dabei zu tun. Ich stahl in der nächsten Nacht, als der Graf, müde vom Tagesritt, fest auf seinem Feldteppich schlief, diese Schärpe vom stählernen Panzer, wünschte ihm in aller Stille, damit er nicht erwachte, eine glückliche Reise und - floh davon. Hier habt Ihr die Schärpe, Ihr könnt sie brauchen! Versteht mich wohl! - Nun aber will Veit Knall sich erquicken bei einem Humpen Wein! Dürft mir glauben, Herr Ritter, ich war dieser Tage so schnell zu Fuß, wie noch nie in meinem Leben. Denn traun, es war mir nicht ganz wohl bei der kecken Sache. Der kräftige Rheinwein wird mich bald wieder munter machen. Und einen gesunden Schlaf in dieser Nacht - dann rechnen wir morgen meinen verdienten Lohn aus, Herr Ritter! -Nun, gute Nacht!"

Veit Knall ließ die Schärpe in Siegmunds Händen und machte sich davon in die Torstube, wo er als wohlbekannter Fischhändler von Costnitz bewirtet wurde. Bald darauf aber trat der Schwarzkünstler Dampf zum Ritter, schaute ihm über die Schulter und lachte grausenhaft: "Wirklich! Ihr seid es doch! Aber wie steht Ihr da, Herr Ritter? Nicht wie einer, der zu freien geht. Nein, man möchte Euch lieber als einen kranken, ohnmächtigen Mann ins Spital tragen! Euer Gesicht ist wild und zerstört! - Bringt Euch in Ordnung, wie es einem jungen, schönen Bräutigam wohl ansteht! Dann will ich Euch den Weg zum Ziele Eurer heißen Wünsche zeigen! Jetzt oder nie, Herr Gäßler! Frau Ludmilla hat vor einigen Minuten den Ahnensaal betreten. Sie steht in Gedanken vertieft vor dem großen Bilde des Grafen Wernher. Die Tür ist halb geöffnet. Ein schwaches Lampenlicht ließ mich die schöne Gestalt erkennen! Kommt, säumt keinen Augenblick! Jede Minute ist Goldes wert! Spielt die Rolle gut, wie ich sie Euch gelehrt - und ehe der Morgengraut, ruht Ludmilla in Gäßlers Armen!"

"Meint Ihr dies?" fragte der Ritter Siegmund im Ungestüm wilder Leidenschaft. Und sich emporraffend, flüsterte er dem vorangetretenen, schwarzen Matthä zu: "Ich folge! Mein muß sie werden, die schöne Frau - oder ich will mit ihr untergehen."

"Mein!" wiedertönte es langsam und schauerlich durch den gewölbten Gang. Aus einem Gemache aber, an dem die bösen Männer vorüber wollten, säuselte ein angenehmer Gesang, wie der Ton einer Abendflöte. Gäßler stand und horchte. Sein Begleiter wußte Bescheid und sagte: "Fräulein Gisela lullt das Söhnlein der Gräfin in süßen Schlummer." Da vernahmen sie das Lied:

"Knäblein, sei recht lieb und brav,
gib dich hin dem sanften Schlaf!
Willst du wachsen und gedeihen,
muß der Schlummer dich recht freuen!
Söhnlein brav,
guten Schlaf!

Gott der Herr behüte dich,
seine Huld erbarme sich,
wolle altes Unglück wenden,
stets dir deinen Segen spenden!
Söhnlein brav,
guten Schlaf!

Und kommt einst der Vater heim,
trifft sein Knäblein brav und fein,
wird es küssen, wird es herzen,
auf dem Schoße mit ihm scherzen!
Söhnlein brav,
guten Schlaf!";

"Wer möchte bei so zartem, lieblichem Gesange nicht süß schlummern?" lachte der Schwarzkünstler und zog den Ritter, den das Lied der Unschuld sonderbar zu ergreifen schien, mit sich fort, vorüber an dem Gemache, dem Ahnensaale zu. Da standen sie still an der halbgeöffneten Pforte, durch die beim matten Lampenscheine aus der Tiefe des Saales die riesengroßen Ahnenbilder schaudererregend hervorblickten. "Glück auf!" flüsterte Matthä Dampf dem glühenden Gäßler in die Ohren, schob ihn leise zur Tür hinein und entfernte sich mit heimtückischem Gelächter. Der Ritter blieb auf einer und derselben Stelle, wie festgemauert, und schauderte zusammen, so oft der Blitz durch die hohen Fenstergewölbe leuchtete und der Donner polterte.

Ludmilla saß vor dem erhabenen Bilde ihres Gemahls und betrachtete es unverwandt in der stillen Dämmerung der Lampe. Den Rücken hatte sie der Tür zugekehrt und ahnte nicht, wie nahe der schreckliche Versucher stehe. Mehrmals trocknete sie die Tränen aus den Augen und begann endlich mit dem teuren Bilde ein Gespräch, worauf sie freilich zu ihrem größten Schmerze keine Antwort vernahm. "Wernher, mein geliebter Gatte, ach, warum hast du das Weib deines Herzens samt allem, was dir auf dieser Erde lieb und wert, so grausam verlassen? Oft kommt mirs vor wie ein schwerer Traum; und wenn ich erwachte, könnt ich in deine Arme eilen, mich freuen an deiner teuren Brust! - Aber nein - bald geht die Täuschung an mir vorüber und es bleibt mir nichts, als der nagende Schmerz der Trennung. Auch quälen mich böse Ahnungen, als ob du zu kämpfen hättest mit riesengroßen Hindernissen, die deiner Wallfahrt ins Heilige Land sich entgegensetzten. Ja, selbst der Gedanke kommt mir bei, es könnte der unbarmherzige Tod dich hinwegraffen, ehe du dein Weib und all die Deinen noch einmal gesehen. Dann ist mir wieder, als wollte ein Unglück auf Schwabeck sieh ereignen. Und es fällt so schwer auf meine Brust, daß sie kaum mehr zu atmen vermag. Ach, Wernher, wenn du hier wärest, wie zufrieden würde Ludmilla sein! Wernher, teurer Wernher!"

Hier schwieg sie still. Ihre Tränen flossen reichlicher und der Blick ruhte zärtlich schmachtend auf dem Bilde ihres Gatten. Auf einmal erhob sie sich schnell. "Ist mir doch," sagte sie, "als hätt ich mein Söhnlein weinen gehört, und Gisela versprach mir, das Knäblein in süßen Schlaf zu singen. Wie ängstlich ist das Mutterherz! Ich habe hier keine Ruhe mehr - ich muß mich überzeugen. Auch rückt das schwere Herbstgewitter heran und es ist gut, daß man sich versammle zu andächtigem Gebete."

Sie nahm die Lampe zur Hand und eilte zu der Tür. Hier stand Siegmund Gäßler, wildes Feuer im Blicke und auf den Wangen. Ludmilla erschrak anfangs. Doch faßte sie sich wieder, sah auf den Ritter mit einem Auge, aus dem ihn ein edler Unwille über sein ungebührliches Benehmen traf und wollte sich entfernen. Siegmund aber trat ihr in den Weg, verneigte sich und sprach gar seltsam lächelnd: "Ich werde Euch doch nicht gestört haben, edle Frau? Bleibt und hört, was Euch Ritter Gäßler heute noch erzählen möchte!"

"Ein anderes Mal, wenn es sich besser ziemt, Schutzherr von Schwabeck!" entgegnete blaß und zitternd die edle Gräfin und schickte sich an, die Tür zu öffnen - allein sie war fest verriegelt. Beinahe ohnmächtig vor Angst und gerechtem Zorne wankte sie in die Mitte des Saales zurück. Der Ritter aber folgte ihr auf den Fersen nach. "Müßt schon bleiben, ehrenwerte Frau," flüsterte der Heuchler, indem er sich allmählich entlarvte: "Ich habe Euch eine Kunde zu bringen, deren Inhalt Ihr vor dem Bildnis Eures Gemahls am gelassensten vertragen könnt. Graf Wernher von Schwabeck und Balzhausen lebt nicht mehr. Auf einem steilen Pfade stürzte er mit dem Pferde und zerbrach einen Rückenwirbel. Im Hospitale zu Straßburg hat er das Zeitliche gesegnet!" "Ihr lügt, Gäßler!" fiel ihm Ludmilla schnell in die Rede und konnte sich kaum mehr aufrecht halten. "Der barmherzige Gott kann mir so etwas Fürchterliches nicht begegnen lassen."

Ohne darauf zu antworten, zog der Ritter die Schärpe langsam aus seinem Wams und reichte sie der Gräfin dar mit den Worten: "Kennt Ihr dieses Zeichen? Veit Knall von Costnitz, der von Straßburg kommt, hat es mit sich gebracht, samt dem letzten Gruß des Herrn Wernher an Gattin, Kind und Schwester, und mit dem Auftrage an Siegmund Gäßler für die Hinterbliebenen zu sorgen."

"Heiliger Gott!" rief Ludmilla, rang krampfhaft die Hände und sank am Bildnisse des Gatten ohnmächtig nieder. Der Ritter betrachtete die edle Frau, die selbst in diesem mitleiderregenden Zustande Spuren einer unvergleichlichen Schönheit an sich trug, teils mit dem Gefühle der Teilnahme und fast der Reue über den abscheulichen Betrug, mit dem er so Fürchterliches auf Schwabeck angerichtet, teils mit sündhafter Freude über die Hoffnung eines in seinem frevelnden Sinne glücklichen Erfolges der Unternehmungen, die ihn wider Vermuten schnell zum Besitze eines Kleinodes bringen sollten, wonach er die räuberische Hand ausgestreckt. - Und nachdem sich Ludmilla allmählich wieder zu erholen schien, nahte er mit erheuchelter Wehmut und stellte sich an, als trockne er blutige Zähren aus den Augen, indem er redete: "Nennt mich nicht weniger unglücklich, als Euch selbst, Frau Gräfin. Der nämliche Bote, der für Euch die Todeskunde überbracht, hat auch mich mit der Nachricht zu Boden geschmettert, mein Weib und Kind seien an den Ort des himmlischen Friedens hinübergewandelt." "Dann seid Ihr so schrecklich heimgesucht, wie ich!" entgegnete Ludmilla mit einer Ruhe, wie es Siegmund Gäßler kaum erwartet hatte. "Doch," fügte sie hinzu, "den Unglücklichen wird das Herz leichter, wenn sie in stiller Einsamkeit, ungesehen von jedem Zeugen, den bitteren Kummer verweinen können. Darum verlaßt mich, Herr Ritter!"

"Das kann Euch nimmer ernst sein, ehrenfeste Frau!" fiel Gäßler der Gräfin in die Rede und zog eine Furche stillen Zornes an die Stirn, während die Wangen kochten im verbotenen Feuer und das wilde Herz einer Entscheidung ob zum vermeintlichen Glücke oder zum Verderben rascher entgegenhämmerte. "Ihr seid jetzt zu sehr ergriffen," fuhr er fort, "und bedürft in dem Augenblicke, mehr als sonst, eines ritterlichen Beistandes!"

"So ruft Fräulein Gisela herbei, oder eine meiner diensttuenden Zofen!" erwiderte Ludmilla in gebietendem Tone. "Ist nicht nötig, wenn Ritter Siegmund Euch zur Seite steht," fiel Gäßler ein und trat einen Schritt näher. "Nehmts nicht übel, liebwerte Frau, wenn ich Euch daran erinnere, daß Graf Wernher mich zum Schutzherrn von Schwabeck ernannt. Und der Auftrag an mich vor seinem Tode? Ach ja, die Trauer Eures Herzens macht das Gedächtnis schwach. So lauteten Graf Wernhers letzte Worte: Siegmund Gäßler soll für die Hinterbliebenen sorgen!"

Ludmilla schien wenig oder gar nicht der Rede des bösen Ritters geachtet zu haben. Sie kniete vor dem Bildnis ihres Gatten, halb gelehnt an die marmorne Platte des Tisches, auf dem die Öllampe knisterte, deren schwaches totenblasses Flämmchen des edlen Wernhers Sterbelicht zu sein schien. - Das Hochgewitter lag jetzt schwer und dumpfig über Schwabeck. Blitz an Blitz durchzuckte die Mitternacht der Wolken und der Donner rollte durch das Himmelsgewölbe so fürchterlich, als müßte er ein Todesbeben hervorlocken aus dem Schoß der Erde. Die Gräfin starrte halb bewußtlos dahin und ihren blassen Lippen entwanden sich die gebrochenen Worte:

"Ahnung, grauenvolle Ahnung in Ludmillas Geiste, du hast mich nun erfüllt in deiner ganzen Schreckbarkeit! Wernher tot, in einem Lande, wo nicht einmal der süße Trost ihm lächelte, daß ihm die letzte Ehre der Bestattung werde von den Zurückgebliebenen. Wernher tot und hier kniet die verlassene Witwe. Sie möchte mit ihren Tränen dieses Bild befeuchten, daß ein neuer Keim des Lebens sich daraus entwickle, wie aus dem Fruchtkorn, das in der Erde starrt, bis der warme Tau des schönen Mai es erweckt. Mit ihrem Hauche möchte sie dieser leblosen Gestalt eine Seele geben, Wernhers Seele, des geliebten, edlen Wernher! - Aber umsonst, umsonst! - Der Sturm des Unglücks, schrecklicher als das Gewitter, das am Firmamente wütet, ist hereingebrochen, und was ihm Frohes, Freundliches und Liebes begegnete, das hat der Unbarmherzige abgeknickt und mit sich fortgerissen in den Abgrund eines unendlichen Elendes. - Wie ist mir doch? Wo bin ich? Immer noch nicht vermag ich zu fassen, was Grausenhaftes mir begegnet. Bin ich allein? Hier unter diesen riesenhaften Gestalten meiner Ahnen! Gott, wer steht da? Bist du der Sturm des Unglücks, der du von Straßburg hierher menschliche Gestalt angenommen? Suchst ein freundlich Willkomm in Schwabeck? Oh ja, bist gar süß gegrüßt, du Schrecklicher! Zerbrich dies schwache Weib! Es ist rühmlicher für dich, als einen Mann verderben! Unglück, ich eile in deine Arme! Sieh hier hast du mich! - Allgerechter Gott, es ist Siegmund Gäßler! - Und doch, wie froh bin ich, daß Ihr hier seid, Herr Ritter! Mir ist recht sonderbar zumute! Ich zittere vor mir selbst, vor Euch! Ich soll Euch fliehen - und dennoch muß ich Euch bitten um Schutz für mich, für Gisela, für mein Kind! So hat es Wernher verlangt. Sein letzter Wille aber ist mir heilig. Kommt, Ritter Gäßler, ich biet Euch meinen Arm! Führt mich zum Bettlein, wo mein Ulrich schlummert! Sein süßer Odem ist mein einziger Trost in dieser schreckensvollen Stunde. Schau ich die Unschuld des Söhnleins - dann wird mir wohl und es fließen die Tränen freier und erquickender!" Ludmilla wankte an Gäßlers Arm. In der linken Hand trug sie die kleine Lampe. Der Ritter aber stand fest. Sein funkelndes Auge warf er frech auf die blasse Gräfin. Er trotzte der Entscheidung entgegen. "Liebwerte Frau," sprach er langsam und mit stolzem Nachdrucke, "noch ein Auftrag vom Grafen Wernher! Hört! Ihr sollt das Söhnlein nicht Waise lassen! Siegmund Gäßler soll Ulrichs Vater werden!" Das Schrecklichste war heraus. Der Blitz zuckte in dem Augenblicke aus der schwarzen Nacht. Der Donner rollte. Ludmilla lag mit einem Schrei des Entsetzens zu des Ritters Füßen. Die Lampe war ihrer Hand entfallen und nur ein schwaches Fünklein glimmte am Boden. Um so schneller und grausiger schwärmte das Wetterleuchten um die Burg und wollte nicht weiter ziehen. Gäßler strebte in wildem Feuer, die Gräfin in seine Arme emporzuheben.

Aber sie stand, ehe er sichs versah, mit einer Kraft vor ihm, in die die Unschuld ihrer Seele und die Liebe zu Wernher mit einem Male ihre Schwächlichkeit umgetauscht. "Gäßler," sprach sie mit Bestimmtheit und klarer Stimme, "wenn Ihr in jedem Worte, das bisher über Eure Lippen kam, die Wahrheit gesprochen, wiewohl Ihr nun eher als einen verderblichen Heuchler vor meinen Augen Euch entwickelt, so ist doch Eure letzte Rede eine entsetzliche Lüge, mit der Ihr das ganze Vertrauen, das Graf Wernher und seine jetzt unglückliche Ludmilla in Euch gesetzt, grausenhaft vernichtet. - Verlaßt augenblicklich dieses Schloß! Nur Eure plötzliche Entfernung kann mich vielleicht die Unverschämtheit vergessen machen, mit der Ihr der Burgfrau auf Schwabeck, geborenen Markgräfin von Österreich, frech und zügellos begegnet seid. Nehmt meinen guten Rate mit Euch, Herr Ritter! Suchet die einsame Zelle eines entlegenen Klosters! Weint dort und büßt durch viele Jahre, bis Ihr endlich den gerechten Zorn des Himmels gesühnt habt! Mein Mitleid mit Eurem zerrütteten Geisteszustände, wie mit der Schwachheit Eures Herzens, die Euch bereits zur Gedankensünde verleitet, gibt Euch die Versicherung mit auf den Wege, daß Gräfin Ludmilla für Euch beten wird! Nun gehet, es möchte Euch nicht so gut bekommen, wenn ich meine Reisigen rufen müßte!"

Anfangs starrte Ritter Gäßler sprachlos auf das edle Weib. Denn die Wahrheit ihrer Rede hatte sich tief ins Mark seiner Seele eingegraben. Allein zu der Leidenschaft einer verbotenen Neigung gesellte sich nun die Flamme des beleidigten Stolzes und brannte so grausenhaft, bis sie endlich den Raum seines zerrütteten Herzens allein eingenommen hatte.

Jetzt erhob er ein fürchterliches Gelächter und brach in die Worte des Spottes aus: "Sachte, Frau Burggräfin von Schwabeck! Das Söhnlein im fernen Gemache möchte erwachen, oder die wenigen Knechte, die Euch Herr Wernher zurückgelassen, könnten herbeieilen - dann sind wir verraten. Nun aber," setzte er mit furchtbarer Stimme hinzu, "erkläre ich der Frau Markgräfin von Österreich, daß es Ritter Siegmunds unabänderlicher Wille ist, sie zur Gemahlin zu nehmen. Ihr habt nur eine Viertelstunde Bedenkzeit, Ludmilla, die Ihr nach Belieben vor dem Bildnisse Eures Wernher zubringen dürft, um aus seinen Blicken zu lesen, daß ich die Wahrheit geredet! - So Ihr aber unnützen Lärm machen wollt im Schlosse, fürchtet diesen Dolch, dem nach dem süßen Blute Eures Herzens gelüstet, wenn es nicht für den Ritter Gäßler schlägt! - Oh schöne Ludmilla, lieblichste Zierde der schwäbischen Ritterfrauen, welch ein unbeschreibliches Glück, welch kostbare Freude, Euch besitzen zu können! Seht mich hier zu Euren Füßen! - Schon auf dem Turniere zu Augsburg, wo ich Euch zum erstenmal gesehen, brannte mein Herz für Euch! Aber das Ziel, Euch zu erreichen, lag in unendlicher Ferne. Nun ist es wunderbar nahe gerückt! Ein Wort von Euren süßen Lippen, ein sanfter Blick aus Euren seelenvollen Augen - und Ihr seid mein - mein ist das schönste Weib der Erde. - Aber, weh Euch, wenn ich das Wort der Verschmähung hören muß aus Eurem Munde! Weh, Siegmund Gäßler rächt sich fürchterlich an einem Weibe, das undankbar und stolz seine Hand von sich gestoßen! - Nun tret ich zurück! Geht mit Euch zu Rate, edle Frau! Ihr steht zwischen Tod und Verderben! Seid vernünftig und wählt das erstere!"

Hier breitete sich eine Todesstille aus im Ahnensaale nur vom Zischen des Blitzes, nur vom Gepolter des Donners unterbrochen. Durch das Gewölbe des weiten Schloßganges aber tönte ängstlich Giselas Stimme, die die Burgfrau beim Namen rief und sie aufforderte, ins stille Frauengemach zurückzukehren.

Da fuhr Ludmilla wie aus einem schrecklichen Traume empor, und wollte der bekannten Stimme folgen. Allein sie ward. sich alsbald des marternden Zustandes bewußt, in dem sie sich befinden mußte; und in ihrer fürchterlichen Angst und Hilflosigkeit betrat sie den Weg der Milde. Ja, sie kniete sogar als eine Bittende vor dem verwegenen Räuber ihrer Selbstheit, der seine Heuchelei solang zurückgehalten, bis endlich der Augenblick erschien, wo er ungestört und unaufgehalten entweder zum Ziele seines eingebildeten Glückes emporsteigen, oder die ihm widerstrebende Burgfrau mit einem Schlag in den tiefsten Abgrund des Verderbens niederschmettern konnte. "Ritter Gäßler," jammerte die edle Frau, rang flehend die Hände und suchte mit ihren Tränen das rauhe Herz des Wüstlings zu rühren; "wenn Ihr je würdig ward des Vertrauens, das mein Herr Gemahl in Euch gesetzt; würdig der Achtung, die ich gegen den Schutzherrn dieses Schlosses hegte; wenn Ihr in Liebe gedenkt Eurer Edeltrude und ihres Töchterleins, die beide jetzt aus den Wohnungen des Jenseits herniedersehen und durch geisterhafte Tränen Euer Gewissen rühren würden, wenn sie könnten; wenn Ihr Euch des stillen, häuslichen Glücks erinnert, das ich mit Wernher auf dieser Burg erlebt, woran Ihr stets so herzlichen Anteil zu nehmen schienet; und endlich, wenn Ihr die Stimme, die in dem verstocktesten Menschen spricht, die Stimme Eures Innern, die Wächterin über Eure Taten, vernehmen wollt, die Stimme, die den folternden Gedanken in Euch weckt: Wie wird es mir einst ergehen am Tage des Gerichtes, wenn ich die Unschuld verfolgt, wenn ich die Redlichkeit verstoßen, die Wahrheit getötet habe? - Siegmund Gäßler, oh, so bitte und beschwöre ich Euch. bei der Allgegenwart Gottes, der meiner Seelenangst diesen frevelhaften Schwur verzeihen wollte, laßt ab von Eurem sündhaften Verlangen! Gehet in Euch, noch ist es Zeit! Fürchtet den Blitz, der Euch zermalmen, den Donner, der Euch zerschmettern könnte! - Ich aber gelobe Euch, daß kein menschliches Wesen ein Wort je davon erfahren soll, was sich in dieser fürchterlichen Stunde zugetragen. Wir wollen scheiden in gastfreundlichem Frieden. Ich überhäufe Euch mit Schätzen aller Art; was Euch gefällt von meinen Gütern, soll Euer sein. Nur laßt mich, Ritter, laßt mich allein auf Schwabeck! Bei allen Heiligen, stoßt meine gerechte Bitte nicht grausam von Euch! Ich habe den zärtlichsten Gemahl, den bravsten Mann verloren und will zwischen diesen grauen, altertümlichen Mauern den unersetzlichen Verlust jahrelang beklagen! - Tut ein Gleiches, Gäßler! Sucht die Grabstätten Eurer Lieben, die die Tränen Eures Andenkens wohl verdienen! Und unter den Trauerweiden der kühlen Gräber bekennt dem Schatten Eures Weibes in Buße und Reue, wie weit das Verderbnis Eures schwachen Herzens vom rechten Wege Euch abgeleitet. Und der seelige Geist wird Euch großmütig vergeben, so wie ich Euch verziehen habe."

Erschöpft sank Ludmilla am Boden zusammen. Aber dem wilden Gäßler gefiel es nicht, ihrer Bitte Gehör zu geben. Im Gegenteil ward er nur erbitterter. Finster zog er die Stirn zu einer großen Furche zusammen und entgegnete kurz und kalt: "Es wird mir zu lang, Frau Gräfin und ich eile, Euch den Wahn zu nehmen, als dürftet Ihr spielen mit Ritter Gäßlers Willen!" Er zog ein Fläschchen hervor aus seinem Wams und fuhr fort: "Seht hier ein Schlaftränklein von Matthä Dampf! Es ist für Euch bestimmt, ehrwerte Frau, so Ihr beharrt in Eurer krankhaften Weigerung! - Ich könnte Euch auch mit dem Dolche eines ins Herz versetzen! Allein Blut macht Verdacht, den Ritter Siegmund zu vermeiden weiß! Dies Tränklein bringt Euch gar leicht und fromm hinüber ins Reich der Toten und die Frau Burggräfin muß an einer Ohnmacht gestorben sein! - Nun schnell! Entscheidet! Es gibt keinen Ausweg zwischen der Hand Siegmund Gäßlers und dem Tode!"

Dieser grausenhaften Rede folgte ein Augenblick der todesähnlichsten Ruhe. Selbst das Gewitter schwieg in dieser entscheidenden Sekunde. Kein Blitz, kein Donner, kein Regenstrom, kein Geheul des Sturmes. Aber pechschwarz und racheschnaubend lag die Nacht auf Schwabeck. Durch diese ahnungsschwere Stille tönte noch einmal Giselas Angstgeschrei nach Ludmilla. Diese aber erhob sich nach einem kurzen, seelenvollen Gebete vom Boden, nahm das Fläschchen aus des Ritters Hand und sprach mit zitternder, doch gefaßter Stimme:

"Ich habe gewählt! Gott im Himmel, Vater der Waisen, du wirst sorgen für mein Söhnlein, für Wernhers Schwester! Allbarmherziger, du wirst dich meiner erbarmen im letzten Augenblicke! Geist meines Wernher, eile mir entgegen! Dein Weib hat dir die zugeschworene Treue rein bewahrt bis zum Tode! - So sei es, in Gottes Namen!"

Und sie wollte das Fläschchen an die Lippen setzen. In diesem Augenblicke fuhr ein zackiger Blitz aus dem schwarzen Gewölk herab durch den Ahnensaal. Ein schrecklicher Donner folgte ohne Säumnis und zerschmetterte die Dachung des Schlosses, daß die Balken krachten. Ein fürchterlicher Sturm heulte durch den Schloßhof und ein dichter Schwefeldampf hatte die Luft verpestet. Der Feuerlärm aus dem Hifthorne des Turmwächters, der in seiner hohen Stube nicht mehr verweilen konnte und den die Angst die Wendeltreppe herab durch den gewölbten Gang ins Freie jagte, sowie das Jammergeschrei der Reisigen im Burghofe verriet seltsam, was vorgefallen. Gäßler eilte, vom Gewitterschlag fast betäubt aus dem Saale, um sich von dem Hergange zu überzeugen und schloß die Tür hinter sich zu.

Ludmilla war nun auf einen Augenblick allein. Sie lag auf ihren Knien; die Arme hatte sie weit ausgebreitet und schrie zum Gott der Gerechtigkeit und Gnade um Hilfe in dieser fürchterlichen Not. - Horch, da zischt es im fernen Winkel des Ahnensaales! Ludmilla wendet den Blick dahin. Welche Entdeckung! Der Blitz hat entzündet. Lichterloh brennen die Rahmen der alten Bilder und selbst die hölzernen Gemälde. Die Flamme greift immer weiter und weiter und schon hat sie Wernhers Bidlnis erreicht. Ludmillas Lebensgeister erheben sich noch einmal. Die Sehnsucht nach Rettung kehrt mit all ihrer Kraft in ihr Herz zurück. Sie eilt zur Tür - und findet sie verschlossen. Sie wankt unter die großen Fenstergewölbe und schaut in die Gewitternacht hinaus, hinab in die Tiefe, in den Abgrund des Schloßgrabens; es ist unmöglich, durch einen Sprung sich zu retten.

Da kniet sie ruhig und gefaßt in die Mitte des Saales und betet: "Heiliger Gott, ob du mich aus der Hand des Verderbers errettet, so willst du doch, daß das Feuer, das du aus deinen Höhen gesandt, mich verzehre! Ich nehme den Tod aus deiner väterlichen Hand mit kindlicher Ergebung an. Hebe sie gnädig empor zu dir, deine schwergeprüfte Tochter!" In diesem Augenblicke stürzte Wernhers Bild halb verbrannt von dem Nagel, an dem es befestigt war. Lud-milla fuhr zusammen und blickte angstvoll nach dem Orte, woher das Geräusch gekommen. Aber neues Erstaunen ergriff ihre ganze Seele. Eine verschlossene, eiserne Tür war durch den Sturz des Bildes sichtbar geworden. "Wie?" dachte sie mit einem flehenden Blick zum Himmel, "wenn ich dort meine Rettung fände! Hier ist der Schlüssel, den mir Gertrud vom Karrenberg erst vor wenigen Stunden gegeben! Gott stärke meine schwache Kraft! Ich wills versuchen!"

Über die Glut des herabgesunkenen Bildes hinweg stieg sie auf einem Stuhle hinan, daß sie mit Mühe den Schlüssel anstecken konnte. Es gelang ihr - die Tür sprang nach innen auf und sie klomm mit einer Eile, so sehr es die Ermattung ihres Körpers gestattete, auf die Schwelle. Von da aber sah sie hinab in eine Ungewisse Finsternis. Nur die Flammen vom Ahnensaale, deren Widerschein sich einzeln in die geöffnete Wölbung stahlen, beleuchteten ein starkes Seil,- das über Ludmillas Haupte an einem eisernen Ringe befestigt war und sich in die schwarze Tiefe hinab erstreckte.

Zwischen Hoffnung und Furcht, Schmerz und Tod vor sich sehend, kniete die arme Burgfrau in einem angstvollen Gebete auf der Schwelle der Tür, die in ein unterirdisches Gewölbe führen mußte - da knarrte die große Pforte des Ahnensaales auf und Ritter Gäßler, der Wilde, stürzte herein, zu sehen, ob Ludmilla vom Gifttrank getötet liege, oder ob er die köstliche Beute lebend von der Stätte des grausenhaften Brandes fortschleppen könne. Er warf den stummen Blick umher - und erkannte kein menschliches Wesen, keine weibliche Todeshülle. "Ludmilla!" schrie er endlich mit fürchterlicher Stimme, da er sie, einem seligen Geiste gleich, rings von Flammen verleuchtet in ihrem scheeigen Nachtgewande über der Schwelle des eisernen Türgerüstes knien sah. "Ludmilla!" wiederholte er in gräßlicher Weise und flog hinan, sie in seine Arme zurückzureißen. Aber Ludmilla war hinabgesunken in die rätselhafte Finsternis des Gewölbes und die Flammen schlugen, wie feurige Wächter, dichter und lichterloher um den Eingang, daß der Ritter betäubt zurückwich und in wilder Verzweiflung hinausstürzte aus dem Saale. Schrecken und ein plötzlich in seiner zerrütteten Seele auftauchendes Reuegefühl, das aber sogleich wieder durch einen abscheulichen Rachefluch niedergedrückt wurde, jagte ihn durch den Schloßgang der Wendeltreppe zu. Da bannte ihn auf einmal das klägliche Wimmern eines Kindes fest an der Stelle, wo nachbarlich das Wohnzimmer der Gräfin sich befand. Die Tür war halb geöffnet. Die teuflische Ahnung, hier zu finden, was seine Rache sättigen könnte, trieb ihn hinein. Er stand vor der Wiege des kleinen Ulrich, der über dem Bettlein kniete und unter Tränen die Händlein faltend betete: "Vater unser, der du bist im Himmel!" - Scheußlich lachend antwortete der wilde Ritter: "Erlöse uns von dem Übel!" riß das Knäblein empor, klammerte es zwischen seine derben Arme und eilte davon, den Weg ins Freie zu gewinnen.

Auf der Mitte der Wendeltreppe begegnete ihm Gisela mit fliegenden Haaren und zerstörtem Blicke. Sie wollte an ihm vorbei. Da sie aber den Knaben sah, zog durch ihr blasses Gesicht ein heiteres Lächeln. "Dank, Ritter, Dank!" rief sie. "Ich Unglückliche habe in der Angst des Söhnleins vergessen, da ich im ganzen weiten Schlosse umher nach Ludmilla jammerte. Noch hab ich sie nicht entdeckt. Im Burghofe wird sie nicht gesehen. Sie muß hoch in einem der Gemächer sein. Heiliger Gott, was wird mit ihr werden! Ritter, gebt mir den Knaben und rettet sie!" Gäßler aber stieß die jammernde Gisela auf die Seite und eilte mit dem Knaben die Wendeltreppe hinab. Das blasse Mädchen nahm all ihre weibliche Kraft zusammen, stieg hinan, wankte durch die schauerlich erhellten Schloßgänge und rief nach Ludmilla, daß ihr Angstgeschrei bis in den Schloßhof widertönte. Aber man sah Gisela nicht wiederkehren aus dem brennenden Gebäude. Inzwischen schlich Siegmund Gäßler, das Knäblein auf dem Arme, durch die großen Lindenbäume des Burghofes und erreichte ungesehen die Fallbrücke. Hier stand Gertrud vom Karrenberg. Der Ritter schauderte zusammen. Sie aber sah ihm fest ins Auge und warf ihm die Frage vor: "Wohin mit dem Knaben?"

"Du schon wieder hier, schwarzer Unglücksrabe?" entgegnete der Ritter und ward blaß wie eine Leiche. "Was fragst du mich, altes Weib? Deinem Hexensinne ist wohl nichts verborgen! Ludmilla, die unter dem Schutte der Burg ihr wüstes Grab gefunden, hat Ritter Gäßlers Hand verschmäht. So will ich Rache nehmen an ihrem Knäblein, indem ich ihn langsam zu Tode quäle, auf daß der mir verhaßte Stamm von Schwabeck vertilgt sei von der Erde."

Er wollte vorbei an der Hexe. Diese aber riß ihm pfeilschnell den Knaben aus den Armen und stieß ihn im nämlichen Augenblicke über die Brücke in den tiefen Graben, "Elender!" rief sie ihm nach mit einer gewaltigen Donnerstimme. "Hier hat deine Verruchtheit ihr strafbares Ziel erreicht. Schau empor! Sünder, du sollst den Geist deiner verstoßenen Gattin sehen! Diese Erscheinung diene dir zum Leben oder zum Tode!" Die Hexe beschrieb mit dem Krückenstabe einen Kreis durch die Luft, fuhr mit einem taubefeuchteten Tuche über ihr Angesicht und ließ den grauen Mantel von ihren Schultern fallen. In dem Augenblicke stürzte die Dachung des Schlosses zusammen und das hochlodernde Feuer beleuchtete die rätselhafte Gestalt über der Brücke.. Im tiefen Graben aber seufzte und stöhnte der Ritter, als er die Stimme vernahm: "Siegmund, Siegmund, dein verstoßenes Weib ermahnt dich zum letztenmal! Bitte den Allbarmherzigen um ein gutes Sterbstündlein! Oder wenn du wieder leben solltest, bereue, büße und bessere dich!" Jetzt hüllte sich Gertrud wieder in ihren Mantel, den sie auch um das Knäblein auf ihren Armen wickelte, sah noch einmal laut schluchzend auf das brennende Schwabeck und auf die schauerlich beleuchteten Gestalten im Burghofe, die dem Brande nicht zu wehren wußten, eilte dann, so schnell sie es vermochte, den Schloßberg hinab, indem sie das weinende Kind mit süßen Worten stillte und verschwand in dem alten Eichenwalde, über den das schwere Gewitter der verhängnisvollen Nacht bereits in die östliche Himmelsferne gezogen war.