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Wie immer im August beherbergt das Hohenloher Freilandmuseum in Wackershofen auch 2014 wieder eine bunte Gesellschaft des 18. Jahrhunderts.

Diesmal entführt uns die Veranstaltung unter dem Titel Anno Domini 1749, Landfriedensbruch an der Roten Steige? ganze 265 Jahre zurück, mitten hinein in einen Konflikt zwischen der Stadt Schwäbisch Hall und dem benachbarten Ritterstift Comburg.

Aus einer für uns heutige Menschen wie eine Bagatelle anmutenden Streitigkeit entspann sich ein zunehmender Strudel der Gewalt. Der Streit zwischen Comburg und Schwäbisch Hall entzündete sich daran, daß das Stift Comburg in Michelfeld eine Schankwirtschaft besaß, zu welcher nach Meinung des Stifts die Wirtschaft an der Roten Steige wegen ihrer geringen Entfernung in Konkurrenz trat. Die Haller beharrten darauf, daß an der Roten Steige schon immer Wein ausgeschenkt worden sei.

Die Comburger verfügten über würzburgische Truppen, die das hällische Steigengasthaus im Juni und August des Jahres 1749 zweimal überfielen, die Wirtsleute bedrohten, sämtlichen Wein ausgossen, ein Weinfass zerschlugen und einige Landleute aus dem benachbarten Bibersfeld, die zur Hilfe geeilt waren, übel verprügelten.

An dieser Stelle setzen wir ein - unmittelbar nach dem zweiten Überfall - als der Amtmann aus Hall anreist, um Untersuchungen anzustellen, Zeugen zu befragen, die Verletzten durch einen Arzt begutachten zu lassen, die entstandenen Schäden aufzunehmen und alle Fakten für eine Anklage zu sammeln.

Tatsächlich wurde das Ritterstift Comburg und dessen Schutzherr, der Fürstbischof von Würzburg, am 26. August 1749 im Namen von Schwäbisch Hall vor dem Reichskammergericht des Landfriedensbruchs angeklagt und später dazu verurteilt, Schadenersatz zu leisten.


Der Steigengasthof beherbergt Reisende, die vor dem mühsamen Anstieg der Roten Steige noch einmal ausruhen und Kräfte sammeln wollen. Wer müde nach langer Wanderung eintrifft...

... freut sich über ein Dach über dem Kopf, eine warme Mahlzeit und ein weiches Lager für die Nacht.

Die Küche ist das Reich der Frau Wirtin. Sie hat jederzeit alles im Griff: kontrolliert die Vorräte, plant die Zutaten für die Mahlzeiten, schickt die Mägde in den Kräutergarten oder zur Obsternte, rührt in brodelnden Töpfen in der rauchigen Kuchl, gibt den Speisen mit vielfältigen Gewürzen den letzten Schliff, dirigiert die Schankmägde und unterhält nebenher noch die Gäste.

Küche und Köchin sind die Seele des Gasthofs.

Die fleissigen Mägde sind auch immer beschäftigt. Sie holen Wasser zum Kochen und für den Abwasch, ernten Birnen und Zwetschgen, holen Kräuter, Salat und Rüben aus dem Garten, schnippeln Zutaten in feine Streifen, schichten einen Nudelauflauf auf, kneten Brotteig, schlagen Eiweiß zu Schnee, belegen Kuchenbleche, waschen zwischendurch immer wieder das Geschirr ab, fegen die Stube, tragen den Reisenden das Essen auf, servieren fremden Gästen und Nachbarn aus dem Dorf gleichermassen Wein, Bier oder Most - dienstbeflissen und stets mit einem Lächeln auf den Lippen.

Nebenher muß auch noch Zeit gefunden werden, die Wäsche zu waschen.

Manchmal - wenn gerade kein Gast in der Wirtsstube Aufmerksamkeit verlangt - sinkt eine Magd in einer stillen Ecke erschöpft in den Schlaf.

Das Backhaus neben dem Gasthof wird jeden Tag eingeheizt, es gibt täglich frisches Brot, diverse Kuchen süß und pikant, Aufläufe, Dörrobst.

In der Gaststube ist immer Betrieb. Reisende, Waldarbeiter, Handwerker aus dem Dorf, alle kehren hier ein, um gut zu speisen oder auch nur ein Pfeifchen zu rauchen und ein Schlückchen oder zwei zu trinken. Hier hat manch einer ganz schön was auf dem Kerbholz.

Die höhergestellten Herrschaften - Amtmann, Amtsschreiber, Pastor nebst Gattin - machen sich natürlich nicht mit dem niederen Volk gemein. Zwar müssen sie sich den einzigen Gastraum teilen, jedoch gibt es einen eigenen adrett mit weißer Tischdecke und gutem Geschirr eingedeckten Tisch für die Honoratioren.

Man kann sein Pfeifchen natürlich auch auf der Steinbank vor dem Haus geniessen und gemütlich beobachten, was sich am Hof des Steigengasthofs so alles bewegt.

Doch nicht nur im Gasthof wird gespeist. Die Landleute aus dem Dorf stärken sich natürlich zu Hause.

Im Haus aus Zaisenhausen versammelt sich die Familie in der Stube am reichhaltig gedeckten Tisch.

Der Fuhrmann aber sucht die Herberge auf, er hat sein Lager im Stall des Gasthofs bei seinem Pferd aufgeschlagen.

Rund um Gasthof und Dorf gibt es allerhand zu tun und der Fuhrmann kann sich ein gutes Zubrot verdienen, indem er hier ein paar Tage Station macht und seine Dienste anbietet.

 


 

Die Bewohner und Gäste des Steigengasthofs und die Dorfbewohner sind in Aufruhr wegen des kürzlich stattgefundenen Überfalls der Würzburger. Der Amtmann aus Schwäbisch Hall hat sich angesagt, er will vor Ort einige Zeugen befragen und sich ein Bild der Vorfälle machen. Vor allem geht es darum, die Höhe des Schadens zu beziffern.

Der Fuhrmann hat sein junges Roß eingespannt, das die allgemeine Stimmung zu spüren scheint und sehr aufgeregt ist.

In vollem Galopp brettert das Gespann zum Steigengasthof heran, als der Kutscher den Amtmann aus der Stadt abholt. Der Herr Amtmann muß Sorge tragen, daß es ihm die gepuderte Perücke, die ihm ein gravitätisches Aussehen verleihen soll, nicht einfach fort weht.

Der Amtmann läßt sich genau berichten, wie die würzburgischen Soldaten in die Wirtschaft eingedrungen sind, wie sie die Wirtsleute bedroht und den Zimmerer gezwungen haben, ein Weinfaß zu zerschlagen, so daß dieser um sein Leben fürchten mußte. Der gesamte teure Weinvorrat des Gasthofs wurde vergossen - einige gute Tropfen haben die Würzburger jedoch selbst getrunken.

Da es etliche Verletzte unter den Landleuten der Umgebung gegeben hat, läßt der Amtmann den Chirurgus aus der Stadt kommen.

Zunächst muß der Chirurgus allerdings den Amtmann selbst behandeln, den ein heftiger Schmerz im Rücken plagt. Ob das mit der rasanten Anreise in unserem Fuhrwerk zu tun hat? Auf jeden Fall müssen die Mägde gewisse Kräuter sammeln, einen Sud ansetzen und dem Amtmann heiße Kräuterwickel am Rücken machen.

Nachdem der Amtmann wieder wohlauf ist, begibt sich der Chirurgus nach Bibersfeld, um die Verletzten zu untersuchen und zu verbinden. Er stellt fest, daß einige Landleute so schwer verletzt sind, daß sie keine Arbeit verrichten können. Der Schaden ist enorm.

Der Fuhrmann wird vom Amtmann zum Grabenreiter ernannt.

Ein Grabenreiter ist ein berittener Grenzwächter, sozusagen ein Streifenpolizist zu Pferd. Er wird damit beauftragt, zwischen Dorf, Gasthof und Stadt hin und her zu reiten und diverse vertrauliche Botschaften, Anweisungen und  Dokumente zu überbringen. Außerdem soll er ein waches Auge haben und die Umgebung kontrollieren - die Würzburger könnten ja noch einmal zurück kommen.

Die schlechten Wege und holperigen Straßen (und unser aufgekratztes Pferd) fordern ihren Tribut - der Schmied muß ein paar Beschläge an unserem Fuhrwerk richten. Außerdem soll er uns ein paar Sauschwänze für das Wagscheit schmieden, damit man im Notfall die Zugstränge schnell aushängen kann.

Da der Fuhrmann als Grabenreiter in Diensten der Stadt Hall steht, begleicht der Herr Amtmann die Rechnung des Schmieds.

Die Männer des Dorfes werden angehalten, mit ihren Waffen zu exerzieren, damit sie die würzburgischen Soldaten im Falle einer Rückkehr in die Flucht schlagen können. Daher wird ein Scheibenschiessen zur Übung anberaumt.

Jeder Mann sollte Übung im Umgang mit seinem Gewehr haben.

Und da hat der Fuhrmann doch tatsächlich - mit Hilfe Unserer Lieben Frau und aller Heiliger im Himmel - das Scheiben-Wettschiessen im Lutherischen Hohenloher Land gewonnen!


Die Aufmerksamkeit der Obrigkeit beruhigt die Gemüter ein wenig - besonders, da doch ein Schadenersatz in Aussicht steht. Das gesellschaftliche Leben wird wieder aufgenommen. Der Schulmeister erteilt den Kinder in Bibersfeld wieder Unterricht, im Steigengasthof können die Weiber wieder beruhigt am Spinnrocken sitzen.

Am Sonntagmorgen hält der Pastor eine herzergreifende Andacht unter freiem Himmel, die allerdings von einer Schar Gänse gestört wird, die laut schnatternd in den nebenan liegenden Dorfteich einfallen.

Für den Nachmittag ist ein Tanz vor dem Wirtshaus angesagt.

Mangelnde Finesse und Haltung macht die Landbevölkerung durch Frohsinn und Begeisterung mehr als wett. Sogar der Herr Amtmann läßt es sich nicht nehmen, das Tanzbein zu schwingen.

Am Sonntagabend findet sich eine sehr gemischte Gesellschaft an der Kegelbahn ein, um gemeinsam der Geselligkeit zu frönen. Im Schein von Laternen wird gekegelt und geplaudert und gelacht. Frau Pastor hat eine Glückssträhne und wirft die Kugel so geschickt, daß alle gestandenen Mannsbilder das Nachsehen haben und sie das Spiel haushoch gewinnt.

Gesichter des 18. Jahrhunderts:

Beim letzten Frühstück, nach dem Ende der Veranstaltung, finden wir nur mühsam wieder ins 21. Jahrhundert zurück...

 


 

Stefan Winter hat ein sehr stimmungsvolles Video der Veranstaltung ins Netz gestellt...

 

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