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Als wir aufwachen, liegt Rufus immer noch entspannt im Paddock. Er hat einiges an Schlaf nachzuholen. In Ligny wollte er sich nicht so recht entspannen, da hat er sich nicht wohl gefühlt, weil ein Anwohner von seinem Gartenzaun aus das Lager die halbe Nacht lang still beobachtet hatte. Rufus hat dieses lauernde Gestalt offenbar als latente Bedrohung empfunden. Dann kam der dreitägige anstrengende Marsch, eine Nacht mit fremder Herde auf der Koppel, die zweite Nacht bei strömendem Regen. Hier in Hougoumont nun, inmitten all der lärmenden Menschen, fühlt er sich sicher und geborgen.

Wir nehmen an der Offiziersbesprechung teil und bekommen Order, tagsüber unser Lager mit allem Nötigen zu versorgen, wie Wasser und Brennholz, und abends zur Schlacht die verwundeten Soldaten Heinrich (eigentlich Sonja) und Sebastian im Karren mit ans Schlachtfeld zu nehmen. Bis dahin haben wir genug Freizeit, um eine ausgedehnte Runde durchs Lager zu drehen, auch innerhalb der Farmmauern von Hougoumont, wo die englischen und schottischen Truppen logieren.

Neben der Auffüllung des Wasserfasses ist unsere einzige offizielle Aufgabe, auf dem weit abgelegenen Parkplatz ein Bierfaß aus dem Auto zu holen und Köchin Helga mitzunehmen, die ebenfalls etwas aus ihrem Fahrzeug benötigt. Auf dem Weg zurück ins Camp werden wir plötzlich nicht mehr eingelassen, weil man gerade mit der Ausgabe des Schwarzpulvers an die Truppen beschäftigt ist. Nun, auf dem Weg heraus fand die Pulverausgabe auch schon statt und man ließ uns trotzdem rasch passieren. Jetzt aber führt kein Weg dahin, wir sollen außen herum fahren und das andere Tor benutzen. An sich kein Problem, zumal wir ja nicht laufen müssen, sondern mit dem Karren fahren können. Das andere Tor führt allerdings ins Lager der Kavallerie, das durch eine kleine Brücke in einer Senke mit unserem Teil des Lagers verbunden ist. Diese Brücke ist mit rutschigen Recyclingmatten ausgelegt, die schon einige Pferde und Reenactor mit genagelten Schuhen zu Fall gebracht haben. Unmöglich, dort zu passieren, aber die junge Dame von der Security stellt sich stur. Ich bitte zuletzt, sie solle doch die Polizisten holen, die drinnen die Pulverausgabe überwachen, um ihnen unsere spezielle Situation zu schildern. Als die beiden Polizisten vor das Tor treten, erkennen wir uns gleich wieder – Bert hatte sie früher am Tag schon auf die gefährlichen Wegplatten angesprochen und gebeten, etwas zu unternehmen. Wir erfahren, daß die Platten in der Senke auf unsere Anregung hin gerade entfernt werden. Also können wir unbesorgt den anderen Eingang nehmen und fahren unmittelbar an der exerzierenden Reiterei vorbei zurück in unser Lager.

Bei unserer glücklichen Rückkehr sitzt General Blücher höchstpersönlich mit seinem Generalstab im Küchenzelt der Westfälischen Landwehr. Der tapfere Rufus bekommt von ihm ein Bier spendiert.

Ein fremder Soldat bringt uns auf eine geniale Geschäftsidee: eine Rückholversicherung für Leichen in die Heimat. ADAC = Allgemeine Deutsche Abholung für Cadaver.

Nachdem die Senke zum Kavallerielager jetzt problemlos mit Pferd und Karren befahren werden kann, statten wir den Reitern einen Besuch ab. Wir parken unterhalb des Exerzierplatzes und sehen ein wenig beim Training zu.

Natürlich wird auch geschossen, was Rufus erst einmal nicht so toll findet. Er läßt sich aber immer noch brav überall hin manövrieren und es ist sicher eine gute Übung für die Schlacht am Abend, die wir vom Rand des Schlachtfelds als Zuschauer miterleben wollen, zusammen mit unseren fußlahmen Kombattanten an Bord des Karrens.

Im Lager geht das normale Alltagsleben weiter, die Soldaten pflegen ihre Ausrüstung, die Frauen kochen oder waschen Wäsche.

Nach dem Mittagessen marschiert die Landwehr ab zu einem Gottesdienst. Unser Pferd hat jetzt Pause bis zum frühen Nachmittag. Erst gegen 17:00 Uhr wird Rufus wieder eingespannt, um 17:30 Uhr treten die Truppen an zur Schlacht und marschieren bataillonsweise aus dem Lager.

Ein beeindruckender bunter Lindwurm wälzt sich zum Klang von Trommeln, Hörnern oder Dudelsäcken am Museum beim Löwenhügel vorbei in Richtung Schlachtfeld. Rufus reiht sich hinter unserem Bataillon in den Zug ein. Unsere beiden Verwundeten Heinrich und Sebastian sitzen auf dem Karren, vorne auf dem Kutschbock nimmt noch Capitaine Brenneisen Platz, der sich ebenfalls am Knie verletzt hat und die weite Strecke nicht laufen kann. Für unseren Fuhrmann, der eigentlich selber fahren wollte, heißt das, dem Herrn Offizier seinen Platz überlassen und laufen. Es lebe das Reglement.

Es herrscht Chaos auf der Straße, unser Zug und der Besucherstrom quetschen sich auf die engen Wege, Leute bleiben zum Fotografieren stehen und versperren denjenigen den Weg, die eilig den Zuschauertribünen zustreben. Der ganze Zug kommt mehrfach zum Stillstand und auch von den Seiten drängen die Menschen immer dichter heran.

Unser junger Freiberger ist brav und geduldig, mitten in der wogenden Menschenmenge, Bert läuft nebenher und führt Rufus, ich gehe voraus vor seinem Kopf und bremse ihn ein wenig, damit er nicht neugierig an die Bajonette der vor uns marschierenden Soldaten geht. Endlich erreichen wir die für Zuschauer gesperrte Zone und können erst einmal Luft holen.

Wir folgen unserem Bataillon und marschieren in den Bauernhof La Haie Sainte ein. Durch das Ausgangstor der Farm geht es über die Straße direkt zum Zugang des Schlachtfelds, mit Tribünen für 60.000 Menschen. Die Straße liegt allerdings gut einen halben Meter höher als der Innenhof der Farm. Die Organisatoren haben den Absatz mit einigen Bühnenbauelementen zu überbrücken versucht. Im Endeffekt stehen wir vor zwei wackeligen Metallstufen, die jeweils zwischen etwa 15 bis 30 cm Höhenunterschied überbrücken sollen. Kein Problem für die Infanterie, die marschieren einfach drüber. Aber alles, was Räder hat... Nun fällt uns auf, daß auch die preußische Artillerie mit ihren Kanonen hier im Hof festsitzt. Sie hätten eigentlich einen anderen Weg nehmen sollen – diese Information ist beim Generalstab aber nie angekommen.

Uns wird mitgeteilt, daß wir mit Pferd und Karren auf keinen Fall hier passieren können, man will uns ins Lager zurück schicken. Unsere Verletzten steigen ab und versuchen, humpelnd bis zum Schlachtfeld zu kommen. Wir diskutieren lange mit der Organisatorin, die die Zufahrt eines Wagens aufs Schlachtfeld kategorisch ablehnt und sagt, wir seien (mit Pferd und Wagen) nicht angemeldet und dürften daher nicht teilnehmen. Ich bin tief enttäuscht. In der Zwischenzeit läßt die Security eine Infanterieeinheit nach der anderen an uns vorbei marschieren, damit die Inszenierung der Schlacht pünktlich beginnen kann. Auch unsere Landwehr ist schon längst auf dem Feld.

Helfer holen massive Holzbohlen und legen sie an den Stufen an, damit die Artilleristen ihre Kanonen den Absatz hinauf auf die Straße ziehen können. Wenn wir schon nicht aufs Schlachtfeld dürfen, so können wir wenigstens der Artillerie helfen, die schweren Geschütze die Stufen hinauf zu wuchten. Wir spannen Rufus aus seinem Wägelchen aus und bieten an, ihn vor die große Kanone vorzuspannen. Luzie heißt das beeindruckende Geschütz und zusammen mit der Protze wiegt sie etwa 1,6 Tonnen.

Der Befehlshaber der Artillerie setzt sich für uns ein und teilt uns mit, daß Rufus vor der großen Kanone mit aufs Schlachtfeld darf. Wir haben hinterher von einem seiner Leute gehört, er habe gedroht, wenn wir und Rufus nicht mit dürfen, werde die gesamte Artillerie stehen bleiben. Wir stehen jetzt also unter dem Kommando von Oberst Lisewski vom Preußischen Stab.

Es muß etwas herumgetüftelt werden, wie man ein einzelnes Pferd vor den eigentlich mehrspännig gefahrenen Protzwagen der großen Kanone einspannen kann. Einseitig neben der Deichsel ist schlecht, weil er dann nicht gerade anziehen kann. Wir befestigen das Zuggeschirr also am Querscheit vorne an der langen Deichsel. Das sieht zwar seltsam aus, weil das Pferd praktisch vor der Deichsel geht, aber so kann er seine Kraft besser übertragen – und bei dem hohen Gewicht von Luzie wird der kleine Freiberger alle Kraft brauchen.

Wir führen Rufus vor die Deichsel, pinnen das Zuggeschirr an und führen ihn vorwärts, bis die Zugstränge auf Spannung sind. Hinten an der Kanone stehen Männern mit Seilen, um mitzuziehen und das Pferd zu unterstützen. Als er auf Spannung ist, merkt Rufus, wie schwer das Gespann ist, und zieht schwungvoll an. Das kommt unerwartet für Bert, der ihn so schnell nicht zurückhalten kann, die unterstützenden Artilleristen an den Zugseilen kommen vor Schreck gar nicht so schnell nach. Luzie verfehlt dummerweise die Holzbohlen der Rampe und Rufus wuchtet die 1600 kg schwere Luzie über 3 Stufen gut einen halben Meter hinauf auf die Straße.

Als das Geschütz oben steht, gibt das wackelige Querscheit vorne an der Deichsel nach. Zum Glück hat Bert – wie immer – jede Menge Ersatzzubehör in der Kiste auf unserem Karren, Schekel diverser Größen, Seile, sogar ein Ersatz-Wagscheit. Während ich zurück zu La Haie Sainte eile, um das Ortscheit zu holen, haben die Männer schon die Spielwaage am Protzwagen abmontiert und vorne an der Deichsel befestigt. Rufus' Zugstränge werden an der Bracke befestigt, die beiden Ortscheite baumeln einfach frei herum. Es klappert, es wackelt, alle sind angespannt und schreien herum – aber unser kleiner Rufus macht seinen Job, bedächtig und zuverlässig.

Mit einem unglaublichen Hochgefühl ziehen wir ins Schlachtfeld ein, beeindruckt von den gigantischen Dimensionen des Weizenfeldes, das sich vor uns öffnet, an einer Seite flankiert von einer schier endlosen Reihe hoher Tribünen mit Plätzen für 60.000 Zuschauer. Die ganze Szenerie in diesem Moment hat etwas völlig Irreales. Wir konzentrieren uns nur auf den vor uns liegenden Weg, marschieren dann durch hüfthohen Weizen querfeldein über das ganze Schlachtfeld bis in unsere Stellung. Voller Elan zieht Rufus die gewichtige Luzie, unterstützt von den Männern der Artillerie an den Zugseilen. Ohne Pferdestärke hätten die Männer das Geschütz nie in so kurzer Zeit über den schwierigen Boden durch die hohen Ähren auf ihre vorgegebene Position am anderen Ende des Schlachtfelds ziehen können. Entsprechend freundlich sind die Kommentare, die Rufus bekommt.

In der Stellung angekommen, lösen wir die Zugstränge und stellen uns etwa 20 – 30 m hinter den Geschützen auf – dort stehen wir auch, als das Gefecht in vollem Gange ist und unsere Kanonen aus vollen Rohren feuern. Es ist ein Höllenlärm, Pulverdampf zieht über dem Gelände auf, aus dem Nebel leuchten die Mündungsfeuer der Musketen und die Feuerblitze der Geschütze. Rufus zuckt zwar jedes Mal ein bißchen, wenn eine der großen Kanonen direkt vor uns mit großem Donnerschlag abfeuert, Angst hat er aber keine, er wendet sich gleich wieder dem grünen Weizen zu. Wir haben zwar Bedenken, ihn die unreifen Ähren fressen zu lassen, andererseits ist es aber auch wichtig, ihn ruhig und bei guter Laune zu halten, damit er auch beim nächsten Gefecht wieder freudig mitarbeitet.

Als Napoleons Truppen langsam zurückweichen müssen und unsere Artillerie avancieren kann, wird Rufus im Feld - mitten während der um uns tobenden Schlacht - wieder vor der Kanone angespannt, diesmal ohne Protzwagen, um die Stellung vorzuverlegen. Wieder stehen wir in unmittelbarer Nähe der Kanonen, wenn sie abgefeuert werden.

Nach Beendung der Schlacht zieht Rufus erst die schwere Luzie den Hügel hinauf, dann führt Bert ihn wieder hinunter in die Senke und hängt den zweiten Protzwagen und die beiden kleineren Kanonen hinten an und zieht den ganzen Zug ebenfalls den Hügel hinauf. Für die zwei Geschütze muß sich unser Fribi gewaltig ins Zeug legen. Die Artilleristen, die ihn eigentlich an den Zugseilen unterstützen sollen, haben später berichtet, daß Rufus den Zug so schnell den Berg hinauf gezogen hätte, daß sie fast nicht zum ziehen gekommen wären.

Da die Franzosen ihre Geschütze über Nacht im Feld stehen lassen zur morgigen zweiten Schlachtdarstellung, werden auch die preußischen Kanonen auf dem Schlachtfeld „geparkt“. Unser verwundeter Soldat Heinrich, den eine Kanonenmannschaft ab La Haie Sainte oben auf der Protze (Kanonenwagen) mit aufs Schlachtfeld gebracht hatte, darf sich auf Rufus setzen und zurück ins Lager reiten, während wir die gut 2 km noch zu Fuß zu bewältigen haben.

Wir sind unheimlich stolz auf Rufus. Allerdings ist er hier auch wirklich an seine Grenzen gegangen – mehr wollen wir nicht von ihm verlangen. Erschöpft schläft er auf seiner kleinen Koppel im Lager. Der nächtliche leichte Regen kann ihn nicht stören. Noch am nächsten Morgen liegt er schnarchend im Stroh.

Am Samstagmorgen geht Bert mit Rufus und einem Wehrmann als Begleitung hinüber zur Farm La Haie Sainte, um unseren gestern liegen gebliebenen Karren abzuholen. Ich wundere mich schon, warum das so lange dauert. Prompt bekommen wir von Berts Begleiter die Meldung, daß man ihn mit dem Karren am Tor nicht mehr eingelassen hat, weil er sich angeblich mit der Polizei angelegt hat. Darauf kann ich mir keinen Reim machen. Ich begleite unseren Feldwebel Dietrich Pott und den Kommandanten des alliierten Lagers, den wir bereits von der Veranstaltung in Montmirail letztes Jahr kennen, zum Tor. Dort echauffieren sich die Organisatoren gerade darüber, daß Bert mit Rufus am Vorabend den Zutritt zum Schlachtfeld erzwungen hätte. Wir verstehen die Situation nicht wirklich, denn uns sagte die Artillerie eindeutig, daß alles geklärt sei und wir anschirren sollen.

Ich versuche, mein ganzes diplomatisches Geschick aufzuwenden, um die Organisatorin zu besänftigen. Offensichtlich wollte sie überhaupt kein eingespanntes Pferd auf dem Schlachtfeld haben, nur Reitpferde. Ich erinnere mich, daß wir letztes Jahr in Montmirail mehrere Kanonen gesehen hatten, die zwei- oder sogar vierspännig aufs Schlachtfeld gefahren worden waren – ein großartiger Anblick. Auch die belgische Armee hatte angeblich zwei bespannte Kanonen für die Veranstaltung angeboten, aber das wurde von seiten der Organisatoren ebenfalls abgelehnt, warum auch immer.

Wir kommen jedenfalls zu dem Kompromiss, daß Rufus und Bert wieder ins Lager dürfen, aber unter der Auflage, daß wir heute abend zur zweiten Vorstellung nicht mit dem Pferd aufs Schlachtfeld gehen und auch im Lager nicht mehr mit unserem Karren fahren dürfen. Das sei angeblich zu gefährlich. Am Vortag hatte Rufus seinen Karren den ganzen Tag lang zuverlässig kreuz und quer durchs Lager geschippert, auch durch enge Lagergassen, auf dem Schlachtfeld stand er 25 Meter hinter den größten und lautesten Geschützen und hat nicht mit der Wimper gezuckt, aber es geht wohl einfach ums Prinzip, nicht um eine tatsächliche Gefährdung.

Für Rufus ist die Veranstaltung also zu Ende, wir gehen nur noch mit ihm grasen und machen uns einen schönen Lenz.

Am Nachmittag kommen die Besucher in Scharen durchs Lager, Rufus in Dösestellung wird von geschätzten 1000 Kinderhänden gestreichelt.

Bert bringt unseren Karren zur Artillerieeinheit, sie wollen ihn per Hand ins Feld ziehen und als Munitionswagen nutzen. Bert begleitet die Jungs also noch einmal ohne Pferd aufs Schlachtfeld, während Rufus und ich im Lager bleiben, dem Getöse von weitem lauschen und die Veranstaltung gemütlich ausklingen lassen.

 

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